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Lost Places in und um Stuttgart & Esslingen

Lost Places in und um Stuttgart & Esslingen

Es gibt Orte, die man nicht einfach betritt. Man durchquert sie wie Erinnerungen – tastend, vorsichtig, lauschend. Als würde man auf den Schatten eines vergangenen Lebens treffen. Stuttgart und seine Umgebung sind nicht nur Hightech, Hügellandschaft und Kesselstadt. Sie sind auch voll von Narben und Flüstern: stillgelegten Bahnhöfen, verwunschenen Villen, überwucherten Burgruinen.

Lost Place

Ich war unterwegs. Mit festem Schuhwerk, Kamera, einer Taschenlampe und dem Gefühl, dass hinter jeder Tür, jedem Baumstamm eine Geschichte schlummert, die niemand mehr erzählt.

Haltepunkt Wildpark – Der Bahnhof, der das Atmen verlernt hat

Ich fand ihn bei Dämmerung. Oder besser: Er fand mich. Der Weg dorthin führt durch ein Stück Wildnis südlich von Stuttgart, zwischen Degerloch und dem Rotwildgehege. Keine Schilder, keine Pfade, nur das gleichmäßige Knacken der Zweige unter meinen Sohlen.

Und dann – aus dem Dickicht heraus – taucht er auf.
Verkrustet mit Moos, umrankt von Wurzelwerk und der Dunkelheit der Geschichte: der alte Haltepunkt Wildpark.

Eine Station mit Vergangenheit

Er wurde 1896 eröffnet – gebaut für Ausflügler, Jäger, Spaziergänger. Wer damals von Stuttgart aus zur frischen Luft wollte, stieg hier aus. Man kann es sich heute kaum vorstellen: elegante Damen mit Sonnenschirmen, Herren mit Spazierstöcken, alles vor dieser kleinen, hölzernen Wartehalle, die heute aussieht, als hätte sie ein Jahrhundert lang den Atem angehalten.

Dann kam der Krieg.
Und hier wird die Geschichte düster. Laut Aufzeichnungen versteckten die Betreiber des Bahnhofs verfolgte Menschen auf dem Dachboden – mutige, stille Hilfe in einer furchtbaren Zeit. In der Luft liegt etwas Bleiernes, wenn man das liest. Ich stand unten vor dem verrotteten Dienstraum und stellte mir vor, wie jemand oben zitternd auf dem Dachboden hockte, das Ohr am Boden, die Hoffnung klammernd wie ein Klettergewächs am Fensterrahmen.

Der Moment, in dem der Wald das Kommando übernahm

Seit 1961 ist die Station stillgelegt. Doch sie steht noch.
Der Bahnsteig aus Bruchstein.
Die Treppen, überwuchert.
Die Gleise? Noch da – aber wie Adern ohne Herzschlag.

Ich setzte mich auf die steinerne Kante des Bahnsteigs. Kein Zug würde mehr kommen. Und doch hörte ich das Echo von etwas – vielleicht war es Einbildung, vielleicht Erinnerung. Vögel zwitscherten nicht. Selbst der Wind schien leise zu sein, aus Respekt.

Wenn du genau hinsiehst, erkennst du noch die Inschrift „WILDPARK“ am Eisenbalken. Rost umrahmt die Buchstaben wie ein altes Siegel. Und dort – auf der Rückseite der Wartehalle – ein gesprungenes Fenster mit Blick ins Innere: Ein alter Fahrplan, halb verwest, halb bewahrt.

Ich machte ein Foto, aber ich wusste, das Bild wird nie zeigen, was ich wirklich sah.

Urbex-Tipp

Offiziell ist das Betreten nicht verboten – aber du solltest den Ort mit Respekt behandeln. Keine Graffiti, keine Mitnahmen, keine Feuerzeuge in der Nähe von Holz. Trage feste Schuhe, sei nicht allein unterwegs. Der Wildpark liegt in einem Gebiet, das je nach Jahreszeit schnell unzugänglich werden kann.

Zeitzeugen-Stimme

Beim Nachlesen entdeckte ich einen Artikel über den Stationsleiter aus den 1940ern. Sein Enkel wurde zitiert:

„Mein Großvater sprach nie über den Krieg. Aber er sagte einmal: ‚Einige kamen her, weil sie verschwinden wollten. Ich ließ sie nicht allein.’“
Aus dem Archiv der Kontext Wochenzeitung

Solche Sätze hallen nach. Und Orte wie dieser geben ihnen eine Bühne.

Villa Herdweg – Der Putz bröckelt, die Geister schweigen nicht

Ich sah sie zuerst durch das Geäst eines alten Apfelbaums. Da stand sie – still, verlassen, königlich, wie eine einst gefeierte Opernsängerin, die nun stumm in einem verstaubten Theatersaal sitzt. Die Villa am Herdweg war einst das Zuhause der Gründerfamilie des Salamander-Schuhimperiums. Jetzt knarrt hier nur noch der Wind in den Läden.

Ich näherte mich der Einfahrt. Das schmiedeeiserne Tor war verriegelt, aber ein Stück der Mauer war eingestürzt. Ich schlüpfte hindurch.

Der Garten hatte längst das Kommando übernommen.
Ein Rosenbogen war vom Efeu erdrückt worden, auf der Terrasse wuchsen Birken durch die Bodenplatten. Ich trat auf einen losen Stein, erschrak kurz – und sah dann, dass sogar das Mosaik des Hauswappens noch zu erkennen war.

Die Stille spricht

Die Fenster sind fast alle blind. Einige fehlen. Im Innern: leergeräumt, bis auf die Schatten. Ich lugte durch ein zerbrochenes Oberlicht. Nur wenig Licht fiel hinein, aber ich konnte erkennen: gewölbte Decken, Reste von Stuck, ein Kamin, verkohlt. An einer Wand lehnte ein zerschlagenes Klavier. Keine Saiten mehr. Keine Tasten. Nur die Ahnung von Musik.

Gerüchte erzählen, dass nachts Stimmen zu hören seien – ein Streit, ein Weinen, ein leises Klopfen von innen. Ich bin kein Mensch, der an Spuk glaubt. Aber ich gebe zu: Als ich dort stand, war da dieses Gefühl, nicht allein zu sein.

Historie trifft Mythos

Die Villa wurde um 1910 gebaut. Ein Symbol für Reichtum. Nach dem Zweiten Weltkrieg wechselte sie mehrfach den Besitzer, war zwischendurch eine Arztpraxis, dann ein Sprachinstitut. Seit etwa 2015 steht sie leer. Ein geplanter Umbau scheiterte – und seither schreitet nur noch der Verfall voran.

Nachbarn berichten, dass immer wieder Fotografen, Kunststudierende und sogar Hochzeitspaare (!) versuchen, Zugang zu bekommen – angelockt vom morbiden Charme und der einmaligen Lichtstimmung bei Sonnenaufgang.

Urbex-Tipp

Das Gelände ist umzäunt – das Betreten streng genommen verboten. Trotzdem ist die Villa von außen frei einsehbar. Wer fotografiert, sollte dies mit Respekt und Abstand tun. Und immer im Hinterkopf behalten: Kein Bild ist es wert, fremdes Eigentum zu verletzen.

Ruine Schanbach – Wenn der Wald schweigt

Weit draußen – dort, wo die sanften Hügel des Schurwalds beginnen – liegt ein Ort, der fast vergessen wurde. Ich war auf dem Weg nach Aichwald, als mir ein älterer Wanderer erzählte:

„Geh mal Richtung Schanbach – da gibt’s eine alte Burgruine, kein Mensch kennt sie mehr.“

Ich folgte seinem Rat.
Ein schmaler Pfad, kaum zu erkennen. Die Luft wurde kühler, dichter. Und dann plötzlich: Ein Graben, ein Mauerrest, der wie ein Schatten aus dem Mittelalter aus dem Boden wächst.

Was bleibt, wenn Stein zu Erde wird?

Die Burg Schanbach stammt vermutlich aus dem 12. Jahrhundert. Sie wurde 1525 im Bauernkrieg zerstört, geplündert, verbrannt – was blieb, wurde vom Wald verschluckt. Heute siehst du nur noch den Ringgraben, ein paar Quader und eine Ahnung von Wehranlage. Aber was du fühlst, ist viel mehr.

Ich setzte mich auf einen halb eingewachsenen Stein. Die Sonne stand tief. Ich hörte kein Auto, kein Flugzeug, kein Handy. Nur den Wind durch Buchenblätter. Und ich schwöre dir: In diesem Moment hätte ich geglaubt, dass gleich ein Reiter in Kettenrüstung an mir vorbeitrabt.

Es ist kein Fotospot. Kein Instagram-Hotspot.
Aber es ist einer der ehrlichsten Lost Places, die ich je besucht habe.

Ein Ort für Legenden

Ein Heimatforscher aus dem Kreis Esslingen schrieb einmal in einem Lokalblatt:

„Schanbach ist kein Ort des Schreckens, sondern der Rückbesinnung. Hier bleibt nur das, was Zeit überdauert – und manchmal sind das eben Geschichten, nicht Mauern.“

Ich mochte das. Denn genau das war es auch für mich.

Tipp

Es gibt keine Schilder, keine Absperrungen, keine Touren. Wer diesen Ort finden will, muss ihn sich verdienen. Und wer ihn findet, sollte nur Spuren im Staub hinterlassen – und sonst nichts.

Fazit: Was diese Orte gemeinsam haben

Keiner dieser Orte schreit laut.
Sie flüstern.
In Moos, Staub, Holzsplittern und bröckelndem Stuck.

Was ich auf meiner Reise gelernt habe? Dass Geschichte nicht nur in Museen wohnt. Sondern oft im Schatten alter Fensterläden, in rostigen Türgriffen und stillgelegten Bahnhöfen. Und dass es Mut braucht, sie zu hören.

Wenn du selbst aufbrechen willst, dann geh nicht nur mit Kamera, sondern mit offenen Augen – und mit einem Herz für das Vergessene.

Manche dieser Orte tragen nicht nur Staub und Stille – sie sind durchwoben von uralten Geschichten.
Zwischen Stuttgart und Esslingen erzählen Legenden vom kopflosen Postreiter, spukenden Herzoginnen und geisterhaften Glockenklängen. Wer tiefer eintauchen will in das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren, findet hier eine faszinierende Sammlung überlieferter Sagen und gelebter Mythen der Region.

Hat dich einer dieser Orte besonders berührt? Warst du selbst schon dort?
Dann teile deine Eindrücke – respektvoll, neugierig, ehrlich. Denn jeder Lost Place lebt ein kleines bisschen länger, wenn man seine Geschichte weiterspinnt.

 

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